Baugewerbe: Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall auch in der „Schlechtwetterzeit“? Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden!

(Beitrag vom 17.08.2021)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich in einer aktuellen Entscheidung* mit dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) zu befassen. Konkret ging es um das Zusammenfallen von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit einerseits und witterungsbedingtem Arbeitsausfall andererseits.

Hierbei stellt sich die Frage, ob auch in einer solchen Situation der Arbeitnehmer einen Entgeltfortzahlungsanspruch** hat. Ein solcher Anspruch würde einer Verrechnung von vorhandenem Guthaben auf einem Arbeitszeit- und Entgeltkonto (Ausgleichskonto) entgegenstehen (sog. Lohnausgleich).

Einen solchen Lohnausgleich hatte im vorliegenden Fall der Arbeitgeber vorgenommen und dem Ausgleichskonto des Arbeitnehmers 65 der 120 angesammelten Stunden abgezogen*** sowie den entsprechenden Lohn gezahlt. Nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Arbeitgeber**** dem Arbeitnehmer den Lohn für die auf dem Konto verbliebenen 55 Stunden aus. Daraufhin klagte der Arbeitnehmer auf Zahlung des den – seiner Auffassung nach zu Unrecht – abgezogenen 65 Stunden entsprechenden Lohns.

Während das Arbeitsgericht (ArbG) München der Klage stattgab, hat das Landesarbeitsgericht (LAG) München stattdessen den vorgenommenen Lohnausgleich für zulässig erachtet und die Klage abgewiesen. Die dagegen von dem Arbeitnehmer eingelegte Revision hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) zurückgewiesen. Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Voraussetzung für einen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 S. 1 EntgFG ist, dass die die Arbeitsunfähigkeit begründende Krankheit die alleinige Ursache für den Arbeitsausfall bildet. Nur dann, wenn der erkrankte Arbeitnehmer auch tatsächlich Arbeitsentgelt erhalten hätte, wenn er nicht erkrankt gewesen wäre, kann er Entgeltfortzahlung nach dem EntgFG verlangen. Hierdurch wird eine Besserstellung arbeitsunfähiger Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitsfähigen verhindert und somit eine Gleichbehandlung dieser beiden Gruppen sichergestellt, wie das BAG deutlich macht. Es weist in diesem Zusammenhang ferner auf den Zweck des Ausgleichskontos hin, der in der Entgeltsicherung und gerade nicht in der Sicherstellung der selbstbestimmten Nutzung von Freizeit liegt. Daher bewirken die Regelungen zum Lohnausgleich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass den erkrankten Arbeitnehmern durch die Verrechnung die Möglichkeit genommen wird, angesammeltes Zeitguthaben für die Freizeitgestaltung zu nutzen, keine Schlechterstellung.

Gem. § 4 Nr. 6.1 Abs. 1 S. 1 BRTV entfällt bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung aus zwingenden Witterungsgründen oder – in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit – aus wirtschaftlichen Gründen für alle Arbeitnehmer der Lohnanspruch. Kollidieren solche Zeiten ohne Entgeltanspruch mit Zeiten der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, stellt also nicht allein die Krankheit, sondern die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung die Ursache für den Entfall des Entgeltanspruchs dar, sodass auch kein Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 3 Abs. 1 S. 1 EntgFG besteht. Mangels Entgeltfortzahlungsanspruch, der einem Lohnausgleich entgegenstehen könnte, hat der Arbeitgeber demnach nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Pflicht, den Lohnausgleich nach den Regelungen des BRTV vorzunehmen.

Durch diese Entscheidung hat das BAG die Rechte der unter den BRTV fallenden Bauunternehmer gestärkt und Rechtsklarheit geschaffen. Die Arbeitsunfähigkeit wirkt sich bei gleichzeitiger Unmöglichkeit der Arbeitsleistung aus witterungsbedingten und (in der Schlechtwetterzeit) aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf den vorzunehmenden Lohnausgleich aus. Diesen darf (und muss) der Arbeitgeber für beide Gruppen – arbeitsunfähige und arbeitsfähige Arbeitnehmer – wie üblich und vom BRTV vorgesehen vornehmen.

* Urteil vom 23.02.2021 - Az. 5 AZR 304/20

** gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG)

*** gem. § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 i.V.m. § 4 Nr. 6.1 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV)

**** gem. § 3 Nr. 1.43 Abs. 5 S. 2 Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV)

Sollten Sie sich ungerechtfertigten Entgeltfortzahlungsansprüchen Ihrer Arbeitnehmer ausgesetzt sehen, sprechen Sie uns an. Wir helfen Ihnen gerne!