Das Amtsgericht Kassel hat mit Urteil vom 27.08.2020 (Az. 800 C 2563/20) entschieden, dass die Corona-Pandemie keine Beschränkung der Personenanzahl auf einer Eigentümerversammlung rechtfertigt.
Wird von der Verwaltung ohne Rechtfertigung eine derartige Beschränkung erteilt, so sind die auf der Versammlung getroffenen Beschlüsse wegen Eingriffs in den Kernbereich des Wohnungseigentums nichtig.
Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines von ihr in einem gesonderten Verfahren angefochtenen Beschlusses der Eigentümerversammlung der Wohnungseigentumsgemeinschaft.
Die Hausverwaltung hat zur Eigentümerversammlung eingeladen. In dem Einladungsschreiben hat die Verwaltung die Anzahl der anwesenden Eigentümer bei dieser Versammlung auf 10 Personen inklusive Verwalter beschränkt. Weiterhin forderte der Verwalter dazu auf, dass die Eigentümer dem Verwaltungsbeirat oder der Verwaltung eine Vollmacht für die Teilnahme an der Versammlung erteilen. Der Verwalter behielt sich vor, die Versammlung nicht durchzuführen, sofern die Höchstzahl der Anwesenden überschritten wird und keine einvernehmliche Regelung am Versammlungstag dazu noch getroffen werden kann.
In der Eigentümerversammlung erfolgte eine Beschlussfassung über den Anstrich der Gebäudefassade. Dieser Beschluss wurde von der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren angefochten, wobei eine Entscheidung noch nicht getroffen ist. Die Hausverwaltung hat angekündigt, den Beschluss ab September 2020 umzusetzen.
Die Antragstellerin beantragt, im Wege der einstweiligen Verfügung die Vollziehung des in der Eigentümerversammlung gefassten Beschlusses bis zum Abschluss des Beschlussanfechtungsverfahrens auszusetzen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat Erfolg.
Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Aufschub der Vollziehung der von ihr in einem gesonderten Verfahren angefochtenen Beschlussfassung der Eigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft.
Zwar überwiegt regelmäßig das Vollzugsinteresse bezüglich des angefochtenen Beschlusses das Aussetzungsinteresse des jeweiligen Anfechtungsklägers. Im vorliegenden Fall kommt es darauf jedoch nicht an, weil der angegriffene Beschluss nichtig im Sinne von § 23 Abs. 4 S. 1 WEG ist.
Ein Beschluss ist nichtig, wenn dieser seinem Inhalt nach gegen zwingende Vorschriften oder die guten Sitten verstößt, zu unbestimmt ist, es an der Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer fehlt, gegen Grundsätze des Wohnungseigentumsrechts verstößt oder in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingegriffen wird.
Ein solcher Eingriff in den Kernbereich des Wohnungseigentums liegt vor, wenn einem Wohnungseigentümer unentziehbare Mitwirkungsrechte ganz oder teilweise entzogen werden. Insbesondere dürfen das Teilnahme- und Stimmrecht eines Wohnungseigentümers nur ausnahmsweise eingeschränkt werden. Auch darf der Wohnungseigentümer nicht zu einer Erteilung einer entsprechenden Vollmacht gezwungen werden, da das Recht zur persönlichen Teilnahme vom Kernbereich des Wohnungseigentums umfasst ist. Dies wird damit begründet, dass es sich bei der Wohnung um eines der elementaren Bedürfnisse eines Menschen handelt und auch im Falle der Vermietung desgleichen ein regelmäßig herausragendes wirtschaftliches Interesse eines Wohnungseigentümers betroffen ist.
Auch der Hinweis, dass der Verwalter im Falle, dass sich die anwesenden Wohnungseigentümer einvernehmlich auf eine anderweitige Regelung der Teilnehmerzahl verständigen, die Versammlung gleichwohl durchführen kann, ändert nichts an der Entscheidung.
Es kommt maßgeblich darauf an, dass im Vorfeld der Versammlung durch die Einladung ein Druck erzeugt wird, nicht an der Versammlung teilzunehmen. Die Formulierung der Einladung der Verwaltung ist geeignet, einen psychischen Zwang bei den einzelnen Eigentümern auszulösen, der sie von der Wahrnehmung ihrer Rechte abhält.
Auch die aktuell verbreitete Corona-Pandemie rechtfertigt ein derartiges Vorgehen nicht, da zum Zeitpunkt der Eigentümerversammlung Zusammenkünfte von bis zu 250 Personen zulässig waren, wenn geeignete Schutzmaßnahmen vorhanden sind.
Nach der Lehre vom Kernbereich des Wohnungseigentumsrechts hat jeder Wohnungseigentümer ein Teilnahmerecht an der Versammlung. Da er ebenfalls ein Recht auf Anwesenheit hat, kann er grundsätzlich nicht gezwungen werden, sich bei der Versammlung vertreten zu lassen.
Spricht die Einladung zu einer Versammlung ohne ausreichende Rechtfertigung eine solche Beschränkung aus, so sind die auf der Versammlung getroffenen Beschlüsse wegen Eingriffs in den Kernbereich des Wohnungseigentums nichtig.
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